Rainer, mein ehemaliger Kollege und bester Freund, ist Rentner seit Anfang 2021, hat mehr Zeit als vorher. Vor 18 Jahren hat es einen ersten ernsthaften Plan gegeben, eine gemeinsame Tour zu wagen. Das war die letzte Etappe meiner Deutschland-Umrundung (siehe dort). Für diesen Sommer hatten wir die gemeinsame Tour von Berlin nach Hamburg geplant. Zweimal (Mai/Juni und Juli) ist dieser Plan auf meiner Seite krankheitshalber geplatzt. Jetzt, beim 3. Versuch, wird’s ernst. Die Tour war für 9 Tage geplant. Jetzt bleiben uns wegen einer Familienfeier noch 7 Tage. Damit entfällt der Sightseeingtag in Hamburg und unterwegs steht eine Bahnetappe an, um noch einen Tag einzusparen. Wir haben Rainers Igluzelt dabei, dazu Isomatten und Schlafsäcke, aber kein Kochgeschirr. Das heißt, dass auf dieser Tour Selbstversorgung nicht eingeplant ist. Wir werden – mit Pandemie-Begrifflichkeiten – für eine Woche keinen Hausstand, sondern einen „Zeltstand“ bilden. Rainer fährt ein ITS-Rad (ich trete selber) und das gleiche hatte ich auch vor. Da ich ein viertel Jahr nach einer Lungenembolie aber kürzer treten muss, fahre ich doch mit dem E-Bike. Mal seh’n wie das harmoniert.
1. Tag: Samstag, 11. September, mit dem Zug nach Berlin, Radfahrt bis Kladow
Heute Morgen zu nachtschlafender Zeit gegen 5:00 Uhr in Reichelsheim gestartet (Rainer hat wegen des frühen Starts bei uns übernachtet). Auf den letzten Drücker den Zug um 5:46 Uhr in Friedberg erwischt. Gern wären wir in wesentlich kürzerer Zeit mit dem ICE nach Berlin gefahren, aber die wenigen Fahrradplätze in diesen Zügen sind wohl über Wochen und Monate im Voraus ausgebucht. Also sind wir mit fünfmal Umsteigen in Kassel, Göttingen, Nordstemmen, Hildesheim und Wolfsburg (von hier aus der einzige IC) nach Berlin-Spandau gefahren. In Wolfsburg hatten wir den einzigen nennenswerten Aufenthalt und haben so endlich mal den Bahnhof verlassen – Mund-Nasenschutz absetzen! – und sind vor einem Café eingekehrt. Zwischendurch hat Rainer in einer Fahrradwerkstatt den Luftdruck seiner Reifen korrigiert und mindestens drei Tage darüber gestaunt, wie viel leichter es mit ausreichend Luft in den Reifen geht. In Spandau sind wir am frühen Nachmittag angekommen. Vom Bahnhof Spandau ging‘s nach wenigen Metern auf den Radweg Havel-abwärts bis Kladow am Wannsee. Da wir schon erfahren hatten, dass das Campingplatzrestaurant geschlossen war, sind wir in Kladow nahe dem Fähranleger in einen Biergarten eingekehrt, um zu Essen und zu Trinken und haben einen heftigen Regenschauer unter einem großen Schirm „ausgesessen“. Danach blieb’s trocken. Dieses Phänomen hatten wir während der ganzen Fahrt: Die wenigen Regenschauer kamen immer im richtigen Augenblick! Der Campingplatz gehört dem Landesverband Berlin des Deutschen Camping-Clubs und liegt zwischen dem Sacrower und dem Groß-Glienicker See. Die Anfahrt zum Zug in Friedberg, das Rumgondeln in Wolfsburg und die Fahrt zum Berliner Campingplatz ergaben insgesamt 30 km Radfahrstrecke.
2. Tag: Sonntag, 12. September, bis Wischer bei Stendal – mit Zugetappe
Nach Frühstück und Zeltabbau zwischen den beiden o. g. Seen Richtung Westen und über Fahrland und Marquardt nach Ketzin. Der Weg ging weit gehend über Wirtschaftswege und an Straßen mit Blicken auf einige Seen. In Ketzin haben wir die Havel per Fähre überquert und sind dann bis Brandenburg dem Havelradweg gefolgt. Diese Strecke war der Höhepunkt der heutigen Tour! In Brandenburg haben wir den Dom besichtigt. Am heutigen Tag des Denkmals war hier außergewöhnlich viel los. Ab Brandenburg war dann die Abkürzung der Gesamtstrecke mit einer Bahnetappe angesagt. Nach Stendal ging’s über Rathenow. Der Fahrplan in Rathenow sagte, dass bis zum 2. September der Zug nach Stendal auf Gleis 2 und danach auf Gleis 5 startet. Jenseits von Gleis 2 war Baustelle und so sind wir davon ausgegangen dass der Zug weiter auf Gleis 2 starten würde. Um Punkt 16:08 Uhr (Abfahrtszeit des Zugs nach Stendal) waren wir auf dem Bahnsteig und der Zug war wohl schon weg. Eine Stunde später kam auch kein Zug und so sind wir dann auf die Suche gegangen. Ergebnis: Gleis fünf war ganz woanders (jenseits von Gleis 1 und dazwischen war die ganze Zeit ein Zug abgestellt) und wir sind dann mit dem Zug insgesamt zwei Stunden später gefahren. In Stendal sind wir in der Abenddämmerung angekommen, haben in einem griechischen Restaurant gegessen und sind dann im Dunkeln mit Navi-Hilfe (Komoot) zum 10 km entfernten Campingplatz gefahren. Zeltaufbau im Dunkeln – ging erstaunlich gut! Heute sind wir 74 km gefahren, dazu die Bahn-Etappe.
3. Tag: Montag, 13. September, zum Arendsee
Von Wischer nach Arneburg an die Elbe und von da dem Elberadweg gefolgt. Auf dem Campingplatz gab’s kein Frühstück. Das hatten wir in einem Supermarkt-Bistro in Arneburg. Der Elberadweg verlief hinter Arneburg entlang großer Industrieanlagen abseits der Elbe und dann wieder in Flussnähe. Am Weg stand eine Kirchenruine, die zu dem ehemaligen Dorf Käcklitz gehörte (https://de.wikipedia.org/wiki/Kirchenruine_K%C3%A4cklitz) . Die haben wir ausgiebig besichtigt. Es gab sogar eine Treppe hoch in den Turm. Die Aussicht war aber sehr „überschaubar“. Wenig später stand ein Radwegweiser Richtung Westen nach Osterburg. Wir haben uns die Lage auf der Karte angeschaut und beschlossen, dieser Route über Osterburg zum Arendsee zu folgen. Die geplante Route wäre jedenfalls wesentlich länger als geplant geworden. Der Weg durch die Altmark – den ganzen Tag hatten wir graue Wolken am Himmel und überwiegend Gegenwind – ging über ruhige Landstraßen und Wirtschaftswege durch kleine Dörfer. In Osterburg war es Zeit für Essen und Trinken. Wir haben vor einer Kneipe gehalten – ich glaube es war die Bierschenke von Sven Tegtmeier – die erst mal nicht sehr vertrauenerweckend aussah. Beim Blick in den Hof haben wir dann einen gemütlichen Biergarten entdeckt und sind eingekehrt. Eigentlich wollten wir nur was trinken, bis uns der Wirt eine Hühnernudelsuppe angeboten hat. Die war vom Feinsten! Rainer hat einen zweiten Teller Nachschlag verputzt und noch tagelang von dieser Suppe geschwärmt und auch mir hat sie rischdisch gut geschmeckt! Kleine Anekdote am Rand: Wir haben uns gefragt, ob es wohl mal ein altes Reich gegeben hat, dass vom Westerwald bis in die Altmark reichte, genau genommen von Westerburg im Westerwald bis Osterburg in der Altmark? J Von Osterburg ging’s dann weiter über Land bis zum Arendsee. Da sind wir am späten Nachmittag angekommen und auf dem Campingplatz eingekehrt. Die Recherche in der Rezeption war wenig vielversprechend: Montags hatten so ziemlich alle Restaurants geschlossen bzw. waren weiter weg. Angesichts dieser Aussicht und der Nudelsuppe vom Mittag haben wir beschlossen, uns im Netto-Markt (an dem wir auf dem Weg vorbei gekommen waren) irgendwas zum Essen zu holen und den Abend auf dem Campingplatz zu verbringen. In der Nähe unseres Zelts stand eine Sitzgarnitur (eher selten auf deutschen Campingplätzen). Auf der hatten wir dann einen langen Abend mit Essen, Trinken und Reden – spät abends mit langen Ärmeln wegen abendlicher Kühle. Heute waren es 78 km auf dem Fahrradsattel.
4. Tag: Dienstag, 14. September, bis Klein-Kühren
Morgens gab’s ein „ordentliches“ Frühstück vor dem Bistro des Campingplatzes, danach Zeltabbau, Packen und Starten. Nach wenigen Kilometern sind wir auf dem „Grünen Band“ gelandet. Das ist der Weg entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Das hieß gut 10 km Kolonnenweg der NVA. Zwei Reihen Betonplatten in Spurweite der Militärfahrzeuge. Es gibt zwei Sorten Betonplatten. Die „besseren“ haben drei Löcher mit Metallbügeln (zum Verlegen mit dem Kran), die Sparversion hat mehrere Längsreihen rechteckiger Löcher mit ca. 10 cm breiten Stegen dazwischen. Mit bepacktem Rad die Spur auf diesen Stegen zu halten gelingt zwei bis drei Platten, um dann in die Löcher zu geraten und durchgeschüttelt zu werden. So ging es langsam vorwärts. Die Route hat sich trotzdem gelohnt, weil sie einen Eindruck von den Grenzanlagen gab. Danach ein Stück nach Westen und dann wieder an der Elbe entlang ins Wendland. Bei Langendorf, westlich von Gorleben, steht ein Aussichtsturm direkt an der Elbe, der tolle Ausblicke rundum bietet, sowohl über’s nördliche Elbufer als auch nach Süden. Hier ist auch der Förderturm der Grube Gorleben zu sehen, der Ort vieler Auseinandersetzungen seit Jahrzehnten. Das Ziel der heutigen Tour war Klein-Kühren, Ortsteil von Neu-Darchau. Bei Dömitz haben wir die Elbeseite auf einer Bundesstraßenbrücke gewechselt auf die Nordseite, da ging es flott vorwärts und dann per Fähre nach Neu-Darchau zurück. Das war übrigens die kleinste Fähre mit der ich jemals gefahren bin. Von dort waren es knapp 2 km wieder nach Osten zum Campingplatz Elbufer. Neu-Darchau ist offensichtlich tief gespalten zwischen Gegnern und Befürwortern einer geplanten Elbebrücke. Die Propaganda beider Seiten war überall zu sehen. Oberhalb des Elbufers, in Höhe der Rezeption, sind die Dauercamperplätze und unten am Elbufer eine riesige Wiese für „durchreisende“ Touristen mit Zelt, Wohnwagen oder –mobil. Wir haben unser Zelt an die „Oberkante“ gestellt und sind trotzdem von Mücken fast aufgefressen worden. Essen gab’s im Elbdorado, einem fußläufig gelegenen Imbiss mit nettem Biergarten – auch hier Mücken. Heute die weiteste Strecke gefahren – 84 km.
5. Tag: Mittwoch, 15. September, nach Lauenburg
Heute wieder ein sehr trüber Tag – dunkle Wolken und Gegenwind. Frühstück gab’s in Klein-Kühren wieder in einem Supermarkt-Bistro. Ein "richtiges" Frühstück gab's nicht. Auf Empfehlung der Verkäuferin hatte ich zu meinem Kaffee ein Hackepeter-Brötchen mit ordentlich Zwiebel. Ist zu Hause nicht meine Sorte Frühstück, war aber estaunlich lecker! Das heutige Ziel war der Campingplatz Stover Strand auf der Elbe-Südseite kurz vor Hamburg. Der Weg ging weiter auf dem Elbe-Radweg am Südufer bis Lauenburg am Nordufer. Da gibt es eine Elbbrücke. Hier fing es an zu Nieseln. So sind wir am Rand der Altstadt unter den Schirm des Restaurants Rufers eingekehrt. Das heißt so, weil direkt davor ein Lotsen-Denkmal steht – der Rufer (https://de.wikipedia.org/wiki/Lauenburger_Rufer) . Während wir da saßen zum Essen und Trinken, ging der Nieselregen in Regen über und wir hatten wirklich keine Lust mehr, noch 25 km weiter zu fahren. In 550 Metern Entfernung war die DJH-Jugendherberge Zündholzfabrik Lauenburg und so haben wir beschlossen, uns die letzten 20-25 km zu sparen und in der Jugendherberge einzukehren. Das hat 110 € gekostet inklusive der DJH-Mitgliedschaft für beide für ein halbes Jahr. Die Herberge hat überwiegend Hotel- und Tagungshauscharakter. Nur das Beziehen und Abziehen der Betten und die eigenhändige Ablieferung der Wäsche erinnert noch daran, in einer Jugendherberge zu sein. Nach dem Beziehen des Zimmers war’s von oben wieder trocken und eine Besichtigung des Städtchens trockenen Fußes möglich. Abends hatten wir in der Bar der JH einen netten Abend. Am Nebentisch saß eine Familie – Vater, Mutter, 2 erwachsene Kinder (Tochter und Sohn) – mit denen wir uns angeregt unterhalten haben. Heute wetterbedingt nur 40 km gefahren.
6. Tag: Donnerstag, 16. September, zum Elbecamp in Hamburg
Ab heute bleiben wir auf der Nordseite der Elbe. Das Ziel, das Elbecamp bei Hamburg-Blankenese, ist in Sicht. Von Lauenburg über Geesthacht nach Hamburg, zuerst weiter an der Elbe. Die ersten vielen Kilometer ab Lauenburg geht der Radweg am nördlichen Steilufer durch den Wald bis kurz vor Geesthacht. Ich war froh über die elektrische Unterstützung meines Rads. Rainer musste ohne Unterstützung oft bergauf strampeln. Dann kommt irgendwann das Ortsschild von Hamburg. Ab da geht es noch mindestens 20 km durch Natur und kleine Dörfer, bis irgendwann die Innenstadt erreicht ist. Der Radweg verläuft auf lange Strecken auf der ehemaligen Marschbahntrasse bis an den Rand der Hamburger Innenstadt. Ab hier geht es auf abenteuerlichen Wegen in Richtung Innenstadt und Bahnhof. Mit der Bahn-App konnte ich keine Fahrkarte für zwei Personen – eine mit Bahncard, eine ohne und zwei Fahrrädern buchen. So sind wir erst zum Hauptbahnhof gefahren, um das Ticket für den nächsten Tag zu lösen. Die ganze Tour hatten wir Glück mit dem Regen, so auch diesmal: Im Bahnhof haben wir einige Zeit verbracht, um das Ticket zu bekommen, und als wir wieder raus kamen, war die Straße nass, weil es inzwischen geregnet hatte. Die letzten 20 km ging’s – wie den ganzen Tag – gegen den Wind zum Elbecamp bei Blankenese. Im Altonaer Fischereihafen bei Fabios Fischfeinkost (den habe ich letztes Jahr entdeckt) ein leckeres Fischbrötchen erstanden und gleich verzehrt. Im Elbecamp das Zelt aufgestellt – inzwischen mit einiger Übung – und dann zum Essen zum Campingplatzrestaurant aufgebrochen. Da fing es wieder an zu regnen. Das war unter dem Dach des Restaurants kein Problem. Heute 73 Kilometer gefahren.
7. Tag, Heimreise
Im Campingrestaurant gibt’s wieder ein richtiges Frühstücksbuffet (letztes Jahr war das wegen der Pandemie noch sehr eingeschränkt). Das haben wir genossen und sind anschließend Richtung Hauptbahnhof gestartet. Der Elberadweg war teilweise gesperrt. Deshalb mussten wir auf die Elbchaussee ausweichen. Die Sightseeingtour mit dem Blick auf die hochherrschaftlichen Villen und auf den Hamburger Hafen hat uns für die Steigung entschädigt. Im Altonaer Hafen noch mal bei Fabios Fischfeinkost „eingefallen“ und ein weiteres Fischbrötchen für die Heimreise erstanden. Danach war noch genug Zeit, gemütlich zum Hauptbahnhof zu gondeln. Auf dem Bahnsteig waren nach heutigen 21 km dann genau 400 km erreicht. Von dort ging’s mit einigem Umsteigen in die Wetterau. Wir haben sogar inzwischen eine Stunde gewonnen und sind am Abend einigermaßen zeitig angekommen. Ich bin in Reichelsheim ausgestiegen und Rainer zwei Stationen später.
Nachlese
Uns beiden hat die Tour – Berlin, Havelland, Elbe, Altmark, Grünes Band, Elbe, Hamburg – sehr gut gefallen. Für mich war es die erste seit langem (Alpentour 2004) zu zweit und ich habe sie sehr genossen. Wir waren beide einig, dass das nicht die letzte gemeinsame Radtour war. Nächstes Jahr wollen wir wieder gemeinsam starten. Leider konnte ich nicht ausprobieren, wie die E-Bike-Ladeinfrastruktur vor allem auf den Campingplätzen ist. Weil es auf der Strecke überwiegend eben ist, habe ich auf der gesamten Strecke von 400 km nur eine halbe Akkuladung verbraucht, bin mindestens 90 bis 95 % der Gesamtstrecke ohne elektrische Unterstützung gefahren. So hat das mit Rainers „ITS-Rad“ sehr gut gepasst. Jetzt sind wir wieder zu Hause und das ist gut so!